24.04.2021

Durch Lockdown fit für die digitale Zukunft

Aus der heutigen Sonderveröffentlichung der WZ

Angebote im Berufsbildungsbereich sind insbesondere für Menschen mit psychischer Behinderung ein wichtiger Anker in der Tagesstruktur“, betont Christoph Nieder, Geschäftsführer der proviel GmbH. „Gleichzeitig sind sie aber auch ein Erkundungsbereich, um die eigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Selbstvertrauen zu entwickeln und aufzubauen. Unter Anleitung von Fachkräften finden die Menschen bei proviel hierfür individuelle und modular aufeinander aufbauende Angebote.“ Vor diesem Hintergrund hat der erste Lockdown im vergangenen Jahr die Wuppertaler Werkstatt für Menschen mit Behinderung besonders hart getroffen: „Die Menschen konnten mit einem Schlag nicht mehr aktiv an den Maßnahmen zur Beruflichen Bildung in unseren Werkstätten teilnehmen. Gerade dies ist aber ein wichtiger Bestandteil, weil es darum geht, Kompetenzen zu erwerben und zu entscheiden, was man lernen will“, sagt Nieder. Dieses Lernen in gemeinsamem Präsenz sei immerhin in nunmehr 25 Jahren gewachsen. Um die Menschen nun in der durch Corona erzwungenen Häuslichkeit nicht ganz sich selbst zu überlassen und zumindest niederschwellig weiterhin an Angeboten teilhaben zu lassen, wurden die Betroffenen zunächst von proviel mehrere Male zu Hause angerufen. Einmal wöchentlich wurde zudem das Bildungspaket „BB for you“ an die Teilnehmer gesandt, mit einem Wochenprogramm an Aufgaben, die es zu lösen galt. Parallel dazu wurde den Teilnehmern die Möglichkeit eröffnet, mit den Lehrern Rücksprache zu nehmen. „Das waren aber in der Regel nur wenige Stunden pro Woche“, berichtet Nieder, „im Gegensatz zu den rund 30 Wochenstunden normalerweise – also alles andere als ideal“.

Als Konsequenz hieraus wurden in der Folge von proviel digitale Lernprogramme auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft und schrittweise Online-Angebote zur Beruflichen Bildung auf einem externen Server eingestellt, ergänzend zum postalischen Aufgabenpaket. „In dieser ersten Corona-Phase wurde deutlich, dass bislang alle unsere Strukturen ausschließlich auf Präsenz und Bildungsangebote im direkten Kontakt ausgerichtet waren. Die Corona-Krise hat den Fokus dann auf einen Entwicklungsbereich gelegt, der auch in diesem Segment eine digitale Kontaktmöglichkeit – trotz der räumlichen Distanz – ermöglicht“, berichtet Nieder.

Nach Ende des ersten Lockdowns wurden intern bei proviel die Menschen in der Werkstatt dann auf ihre Erfahrungen mit diesen digitalen Angeboten hin befragt. Und dabei zeigte es sich, dass bei vielen Teilnehmern die Grundvoraussetzungen für digitales Lernen gar nicht gegeben waren. „Entweder sie verfügten über keine ausreichende Hardware, besaßen etwa nur ein altes Handy und kein Tablet, oder es fehlte an Datenvolumen oder auch an beidem, um am Digitalisierungsprojekt teilnehmen zu können“, berichtet Nieder. So seien viele Teilnehmer froh gewesen, wenn weiterhin das Paket von der Post eintraf. „Videokonferenzen waren ebenfalls nicht möglich. Denn auch dafür reichte bei vielen die Technik nicht aus.“ In dieser Situation erreichte proviel die Nachricht, dass die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW einen Förderaufruf gestartet hatte. Unter dem Motto „Zugänge erhalten – Digitalisierung stärken“ sollten sich Sozialunternehmen melden, die in Sachen Digitalisierung Unterstützung brauchen. Der Aufruf erfolgte im Sommer 2020. „Und das Interesse erwies sich als enorm, die Stiftung wurden regelrecht überrannt“, berichtet Nieder.

proviel war ebenfalls unter den Anwärtern und stellte einen Antrag auf Erstausstattung mit 150 Tablets sowie für Datenvolumen für jeweils ein Jahr. Dieser wurde bewilligt. „Um vielfältige Angebote zusammenstellen zu können, ist die digitale Erreichbarkeit die Grundvoraussetzung, und um die haben wir uns mit diesem Antrag bemüht“, sagt Nieder. Die Geräte sind bereits eingetroffen, die sukzessive Inbetriebnahme läuft. Geplant ist, dass jeweils nach Abschluss einer Maßnahme die Tablets in den Fundus von proviel übergehen. Dabei stellt proviel im Dauerbetrieb die Reparaturen und den Erhalt des Bestandes sicher. „Ferner erhalten alle Teilnehmer für den Einsatz in Bereichen, in denen keine ausreichende eigene Internet-Verbindung besteht – sei es über bereits abgeschlossene private Verträge oder W-Lan-Angebote an anderen Orten – ein mobiles Datenpaket“, berichtet Nieder.

Parallel dazu werden die Lehrkräfte bei proviel in Sachen Digitalisierung weiter gebildet: „Die Frage ist beispielsweise, wie man ein gutes Lernvideo erstellt“, sagt Nieder. „Unsere Zielgruppe ist heterogen, man muss die Teilnehmer individuell motivieren.“ Innerhalb von „Train the trainer“ wird schrittweise ein Team von bis zu zehn Personen geschult mit dem Ziel, selbst neue Lernprogramme zu entwickeln. So sollen Aufgabenzettel online erstellt werden, die dann von den Teilnehmern heruntergeladen und ausgefüllt werden. In einem Chatroom können diese Aufgaben mit den Lehrern besprochen werden. Ferner sollen Webinare und gemeinsame EDV-Schulungen die digitale Kompetenz fördern.

„Bei allen Angeboten im Berufsbildungsbereich werden wir so sukzessive auch eine digitale Version erzeugen, so dass in einer thematisch sortierten Lernplattform Inhalte zur Verfügung stehen, die von Teilnehmern in der Folge individuell nach eigenem zeitlichem Rahmen genutzt werden. Die Inhalte lassen sich so oft wiederholen, wie die Teilnehmer es möchten – oder auch ohne Scham überspringen.“ Wichtig, so Nieder, sei eine barrierefreie Zugangsseite, die für den mobilen Zugriff optimiert ist. Geschützt werden die Inhalte nach seinen Angaben über Benutzernamen und Passwort, sodass die Nutzer individuelle Aufgabenprofile vorfinden und die Kursangebote einzeln zusammenstellen können.

„Wir leben eigentlich von dem Präsenz, vom Wiederholen und Ergänzen“, sagt Nieder.  Dennoch war für uns der erste Lockdown tatsächlich eine Chance, denn er hat uns in Sachen Digitalisierung viel fitter für die Zukunft gemacht.“

Dateianlagen:
 20210424_wz-b.pdf (610 KB )

Cookies / Datenschutz
X
Wir respektieren Ihre Privatsphäre
Diese Webseite verwendet Cookies. Weitere Informationen zu den eingesetzten Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung. Mit einem Klick auf die Schaltfläche „Alle Akzeptieren“ stimmen Sie dem Einsatz all dieser Cookies zu. Über die Schaltfläche „Ausgewählte akzeptieren“ willigen Sie nur in den Einsatz der Cookies zu den von Ihnen ausgewählten Zwecken ein.
Ihre Auswahl: