03.09.2021

Beim Praktikum Küche/Kinderferienzirkus hatten wir die Chance Herrn Lindh zu interviewen.

Das Gespräch führte C. Münch:

Hallo Herr Lindh, bitte stellen Sie sich einmal den Lesern unserer Internetseite vor:

Ich bin Helge Lindh. Ich bin Bundestagsabgeordneter in und für Wuppertal. Ich habe schon mehrere Praxiseinsätze bei proviel gemacht und bin der Werkstatt seit Jahren sehr verbunden.

Wie sind Sie auf proviel aufmerksam geworden?

Wer mit offenen Augen und Ohren, also mit allen Sinnen in Wuppertal lebt, muss proviel wahrnehmen und kennen. Ich bin interessiert am sozialen und wirtschaftlichen Leben der Stadt und so bin ich erst recht interessiert an proviel. Ich wohne sogar in der Nähe der Farbmühle. Ich habe die Aktivitäten in der Milchstraße beobachtet, dann auch mit Begeisterung die Entstehung und Eröffnung des CAP-Marktes. Die Grundidee finde ich großartig. So bin ich auf proviel aufmerksam geworden und kenne proviel schon sehr lange.

Sie sind Mitglied des Bundestages für die SPD. Was sind Ihre Aufgaben dort?

Ich habe, so könnte man sagen, eine politisch gespaltene Tätigkeit. Einerseits bin ich in Berlin im Innenausschuss, wo wir alle möglichen Themen der Innenpolitik behandeln, sei es innere Sicherheit, oder Migration, Cybersicherheit, Terrorismus, Antisemitismus oder Rassismus. Außerdem sitze ich im Ausschuss für Kultur und Medienpolitik. Andererseits muss ich in Berlin für Wuppertal arbeiten. Das bedeutet, dass ich möglichst viele Fördermittel nach Wuppertal hole und überlege, wie ich mich für die Stadt Wuppertal am besten einsetzen kann, wie ich an Gesetzen arbeiten kann, von denen Wuppertal profitiert. In Wuppertal selbst ist es dann wieder eine ganz eigene Welt, weil man hier mit vielen Schicksalen konfrontiert wird. Leute kommen ins Büro mit Sorgen, Anliegen, Projekten. Das reicht von Familienkonflikten bis zum Millionenprojekt. Das ist der zweite Teil neben den Aktivitäten in Berlin, und der Hauptteil meiner Arbeit.

Sie waren bereits im CAP-Markt und heute in der Küche Farbmühle und anschließend zur Essensausgabe im Kinderferienzirkus zur Hospitation. War das schön für Sie und hat es Ihnen Spaß gemacht? Sind Ihre Erwartungen erfüllt worden oder hat Sie dabei etwas überrascht?

Es war ganz anders wie beim letzten Mal im CAP-Markt aber gleichermaßen begeisternd. Dort war ich an der Kasse und beim Einsortieren der Regale dabei und merkte die Herausforderungen auch im Umgang mit den Kunden. Während ich in der Küche in der Farbmühle ein ganz anderes Arbeitsverhältnis wahrnahm. Ich versuchte mich an der Produktion von Spiegeleiern und Käsespätzle sowie an der Reinigung des Arbeitsbereiches. Ich habe da neue Talente an mir entdeckt und auch ein neues Entwicklungspotential meiner Arbeitsfähigkeiten. Es hat mir Spaß gemacht, aber die Küche ist wieder eine ganz andere Welt. Ich habe das angenehme Klima genossen und der freundliche Ton überraschte mich. Es gibt klare Strukturen, aber dennoch einen sehr respektvollen Umgang miteinander. Das ist eher selten im Stressbereich der Küche, in dem es ansonsten hart zugeht. Das weiß jeder, der sich auskennt im gastronomischen Bereich.

Auch hat mich überrascht mit wieviel Liebe und Freude am Produkt gearbeitet wurde. Das ist bei so großen Essensmengen nicht selbstverständlich. Großküchen sind ja nicht immer ein Zuhause von kulinarischer Köstlichkeit. Bei proviel hat man es aber mit Sinn für das Essen betrieben. Mein Eindruck am Standort Farbmühle war, dass für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Essen ganz wichtig ist. Diesen Geist spürt man. Die Wertschätzung für Frühstück und Mittagessen, dass man zusammenkommt, sich Zeit nimmt zu sitzen, zu essen und auszuruhen hat einen hohen Wert, selbst mit allen Hindernissen durch Corona.

Was verstehen Sie unter Inklusion und wann ist für Sie Inklusion erfolgreich gewesen?

Inklusion würde ich so zusammenfassen: Alle Menschen, egal welcher Herkunft, egal welche Herausforderungen sie im Leben hatten, können gleich und verschieden zugleich sein. Gleichheit und Unterschiedlichkeit zusammen zu realisieren, das ist für mich der Kernbereich von Inklusion.

Dass wir alle verschieden sind, ein Kosmos und Universum für sich sind, das ist gut so, dass das so ist. Es hat jeder Anspruch auf dieselben Rechte und dieselben Chancen, was Arbeit betrifft und die Selbstverwirklichung im Leben. Wenn das Miteinander von Gleichheit und Verschiedenheit verwirklicht ist, ist Inklusion erreicht. Der Auftrag an die Politik ist, dafür die Bedingungen zu schaffen. Das kann man nicht in der Theorie, sondern muss sich in der Praxis z.B. am Arbeitsplatz bewähren.

Es gibt EU-weit Bestrebungen Werkstätten für Menschen mit Behinderung abzuschaffen. In Deutschland ist es einfach(er) eine Ausgleichsabgabe zu zahlen und verlängerte Werkbänke, wie bei proviel geschehen, zu beauftragen. Würden Sie daran etwas ändern, wenn ja, was?

Es ist eine Aufgabe für Politik und Wirtschaft. Unternehmen, die Inklusion realisieren wollen, müssen durch Steuern, durch Fördermittel und durch rechtliche Rahmenbedingungen Anreize erhalten. Unternehmen, die das nicht wollen, müssen entsprechend mit Nachteilen rechnen. Es geht darum, dass Unternehmen Inklusion als Verantwortung begreifen und es als Pflicht gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen, was mit einer Änderung der Einstellung und Haltung gegenüber den Menschen egal welcher Herkunft und Lebenslage einhergeht.

Der Traum wäre, dass die Arbeitswelt und alle Unternehmen inklusiv sind. Davon sind wir aber noch weit entfernt, deshalb ist es wichtig Werkstätten zu haben. Allerdings muss eine Wahlfreiheit zwischen erstem Arbeitsmarkt und Werkstatt gegeben sein, dass jeder dort arbeiten kann, wo er es möchte.

In wenigen Wochen ist Bundestagswahl und Sie sind für den Wahlkreis 1 in Wuppertal Kandidat der SPD. Warum soll ich wählen gehen, wenn ich von Politik nichts verstehe?

Gerade wenn man nicht viel von Politik versteht, sollte man wählen gehen. Es ist wichtig, dass nicht nur die, die von Politik etwas verstehen oder zu verstehen meinen, sich mit Politik beschäftigen. Jeder Mensch ist politisch, denn jeder hat eine Stimme. Es kommt gerade auf die an, die nichts mit Parteipolitik zu tun haben, denn Sie haben alle Interessen und Anliegen und haben auch etwas zu sagen. Deshalb ist es wichtig, dass man die Möglichkeit zur Wahl ergreift und es nicht wenigen überlässt. Je mehr Menschen sich von Politik verabschieden, desto mehr koppelt sich Politik vom Leben der Menschen ab und umso schlechter wird Politik.

Inklusion hat viel mit Demokratie zu tun. Die Idee der Demokratie hat nicht nur damit zu tun, dass die Mehrheit entscheidet. Mehrheiten können sich nämlich auch ändern. Die Demokratie einer Republik wie die der Bundesrepublik Deutschland lebt davon, dass es Minderheitenschutz gibt, so dass auch Meinungen, die nicht einer Mehrheit entsprechen, geschützt sind und Beachtung finden. So dass jeder über Wahlen hinaus Einfluss nehmen und Entscheidungen beeinflussen kann. Ich bin deshalb der Meinung, dass es verschiedene Formen von Bürgerbeteiligung geben muss. Parlamente reichen nicht aus. Ich unterstütze aktiv praktische Möglichkeiten, dass sich Menschen mit ihren Ideen und Anregungen darüber hinaus einbringen können, um die Arbeit der Parlamente zu bereichern.

Herzlichen Dank für das Gespräch

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